KRIM 1988 – Klettern zwischen Sonne und Sekt

Es sollte der fantastischste und abenteuerlichste Kletterurlaub unseres Lebens werden. Das hatten wir uns geschworen. Wir waren ja auch noch junge Spunde, es war erst unser zweiter Urlaub als Truppe. Nach dem Verdon des Ostens –Vratza- im letzten Jahr sollten es diesmal die berühmten Steilküsten der Halbinsel Krim sein. Gigantische 400-m-Wände aus festem Kalk, hoch über dem Schwarzen Meer. Russisch abgesicherte Kletterei an abenteuerlichen Standplätzen u. selbstgefeilten Keilen (aus meinem Werkzeugbau). Ganz heimlich wollten wir uns von der Route unserer falsch ausgestellten Visums wegschleichen ins wilde russische Hinterland und unser Können dort auf die Probe stellen, wo schon sagenumwobene Weltcupveranstaltungen stattgefunden haben sollen.

Mit dabei waren Lämmel, Berth, seine Daggi, Ralle, Ali, Börge, Rolli, Glatze, Dani und ich.

Auf die Probe gestellt wurde in Wirklichkeit erst mal unser überragender Organisator Lämmel, der die Aufgabe hatte, für alle Mann jedem einzeln ein Visum zu besorgen. Also ließ er seine alten studentischen Beziehungen in Moskau spielen und besorgte uns tatsächlich für jede einzelne Person eine persönliche Einladung nach Moskau. Grundvoraussetzung damals für ein russisches Visa. Daß wir uns dann von Moskau ganz kriminell in den Süden durchschmuggeln wollten, bereitete uns jungen sozialistischen Persönlichlichkeiten schon im Vorfeld keinerlei Gewissenskonflikte.

Der Hinflug nach Moskau verlief soweit ganz gut, außer daß ich bei der Flugabfertigung Verdacht erregte, da ich im Handgepäck Schnorchel und Taucherbrille mitführte. Bei einem Visum nach Moskau! Das war schon mal knapp! In Moskau teilten wir uns in zwei Gruppen und klapperten die ganzen zugehörigen Polizeistationen zu den einzelnen Einladungen zur persönlichen Anmeldung ab. Das Gepäck hatten wir bereits im Ostbahnhof in der Kamjera chranenija (Gepäckaufbewahrung) abgegeben. Dort mußten wir auch die erste Erfahrung mit osteuropäischer Abzocke machen. Da konnte auch Daggi als unsere Dolmetscherin nix machen. Nach der Anmeldung war dann Treff im Schwedenhotel zum Buffet – Friß so much wie du can. Lecker! Nur Berth hatte noch Gepäck mit am Mann. Das sensationelle WESTSEIL von der Oma. Das durfte auf keinen Fall aus den Augen gelassen werden. Und so hatten Berth oder Daggi das Säckl mit dem Westseil auch den ganzen Urlaub immer dabei, egal wo sie waren, egal wie warm es war, vermutlich auch in der Toilette. Fettgefressen wackelten wir zum Bahnhof, um unsere vorbestellten Schlafwagenquartiere zu beziehen. Dort dann Erfahrung Nummer zwei. Der Schlafwagenschaffner für unseren Wagon wußte von gar nichts. Auch sonst war für uns im gesamten Zug nichts zu machen. Erst 5 Minuten vor Abfahrt nahm der Muschik (einfacher Mensch) höflich eine kleine Flasche Goldbrand und Kaffee "Rondo" entgegen und plötzlich war alles aufgeklärt. Die Fahrt nach Jalta ging los. Ganz geschickt hatte Lämmel natürlich zusammenhängende Bettnummern reserviert. In diesem Touristenklasse-Wagen mit offenen Abteilen waren das leider exakt die Betten entlang des Laufganges, quer durch den ganzen Wagen. So waren dann eigentlich alle voneinander getrennt irgendwo im Wagen untergebracht. Und die ganze Nacht stiegen aller 1 Stunde ungefähr 20 Leute mit Koffern oder Hühnern ein und aus. Dafür hat Rolli sich dann früh ganz gemütlich von der Verpflegungs-Babuschka mit heißem Samowar-Tee den Arm verbrühen lassen. Aber ansonsten war die Fahrt eigentlich charoscho.

Ein Bus fuhr mit uns von Jalta südlich die Küstenstrasse runter und setzte uns zwischen Alupka und Foros für das lächerliche Entgelt von Schokolade und einem Tonträger mitten in der Landschaft ab. Wir waren mit einem Freund von Lämmel verabredet. Dazu mußten wir den Hang steil durchs Gebüsch hoch Richtung der großen Wände, wo man im Gesträuch ganz heimlich und illegal zelten konnte. Die Kunst bestand ja bloß darin, weder der hießigen Polizei wegen verbotenem Zelten aufzufallen, noch irgendjemandem anders wegen illegalem Aufenthalt im Bruderland. Der Freund, Sergeji, ca. 1.60m groß, mongolisches Aussehen, kräftig, kam dann auch bald mit Getöse aus dem Busch gestürmt. Er war Holz holen und hielt in jeder Hand 3 Bäume. Ein hervorragender Waldschratt. Er kletterte wohl so 10- und sollte sich hier auskennen. Aber eigentlich wußte er auch nix weiter über das damals noch recht unentdeckte, nur Insidern bekannte, Gebiet. Es sollte halt ein paar Routen geben, ein paar ungenaue Skizzen hatte man aufgetrieben. Könnte soundso schwer sein, ungefähr da drüben.... Naja. Den nächsten Tag war erstmal schlechtes Wetter und so haben wir unten die Ortschaft Foros erkundet (man hatte uns gesagt, daß es dort auf der Krim ungefähr 1 Woche Regen im Jahr gibt, diese 7 Tage haben wir während unserer Zeit dort in vollen Zügen ausgekostet). Da es im hiesigen Dorfkonsum leckeres Moroschnoje (Eis) und Moloko(Milch, Alkohol kriegte man ja damals im Land keinen, zumindest nicht offiziell ...) gab und diese Delikatessen von niedlichen, sehr aufgeschlossenen Delikatessen in Schürzen ausgeteilt wurden, waren wir (natürlich auch sehr aufgeschlossen) schon am zweiten Tag Gesprächsstoff Nr. 1 im Ort (das war also so ziemlich das Gegenteil von dem, was wir mit unserem Visum wollten) und Rolli hatte schon am dritten Abend ein Date mit einer Alinka (Name v. d. Red. geändert). Ich glaube bei unserem Krimaufenthalt waren wir öfter im Ort als an den Felsen. Und das lag nicht so sehr an dem schlechten Wetter, der fehlenden Informationen oder der teilweise uneinladenden Anlage der damaligen Kletterwege.

Am schlimmsten waren immer die abendlichen Heimwege hoch zu den Zelten. Die waren nicht nur anstrengend, sondern auch noch dunkel (damals ja noch stirnlampenlose Zeiten). Wir waren ja gezwungenermaßen nüchtern und hatten ganz schön Schiß. Wenn es hinter uns raschelte dachten wir an alles mögliche grauenvolle Viehzeugs, bis wir eines Tages feststellten, daß uns ein paar klitzekleine knuffelige Hundejungen folgten (die wir jede Nacht aus Angst mit großen Steinwackern bombardiert hatten).

Unvergessen geblieben sind die (in jedem Cafe angebotenen) Muscheln, Rollen und Walzen (leckerste Cremegebäcke), um welche bei Doppelkopfrunden und Schummelmäx erbittert gespielt wurde. Ebenso unser Diskobesuch, von dem bestimmt noch heute nicht nur die Djewuschkis reden werden, sondern auch der DJ (der einzige Abend in dessen Leben vermutlich, an dem er länger als bloß 2 Stunden bis 22 Uhr gespielt hat, unvergessen unsere Polonaise zum "Tarzan boy"), der regelmäßige Besuch des Bierstandes (Sensation!) an der Bushaltestelle in Alupka (wir haben so manchen Bus beinahe verpasst). Ebenso Berth, Daggi und ich als Tramper auf dem LKW nach Jalta (wir bettelten den armen Kerl um Benzin für die Barthelbombe an), der Besuch im Park der 4 Landschaften in Artek (wo Ali beim Gruppenbild mit Selbstauslöser erst mal die Kamera im Mülleimer versenkte), unser Besuch in Jalta mit dem Krasnoj mjatch (roter Ball), welchen der Blacky geschickt in die tosende Strandbrandung kickte (das Wasser war zu der Jahreszeit sackkalt) und eiskalt ein kleines fremdes Mädchen (7 Jahre) zum Rausholen schickte .... und und und.

Aber wir haben auch geklettert! Ja, tatsächlich. Angetestet wurden am ersten besten Tag in den großen Wänden ein paar Routen so im 5. UIAAgrad. Alle so etwa 6 bis 10 SL lang. Rolli hatte ein Team mit mir gemacht. Wir hatten Glück und eine Traumroute erwischt. Man mußte ja auch schnell klettern, um in der Wand nicht von ringsherum überall gesehen zu werden (siehe Kapitel Erwischen). Um das zu gewährleisten, haben wir uns noch zusätzlich angespornt, indem wir bei der Hitze (südseitig) ganz fluffig in Schlüppern geklettert sind. Aber so klein, wie wir und unsere ... damals noch waren, hätte das von so weit weg eh kein Mensch gesehen. Nach der fantastischen Kletterei landet man über der Gipfelkante auf einem paradiesischen Plateau mit Wiesen und Sträuchern, wie im Märchen. Da dort oben angeblich öfters Schäfer vorbeischauen hieß es auch dort oben flugs wieder absteigen (® Erwischen). Rolli und ich sind auf der Wiese erst mal schön in unseren Schlüppern eingepennt...Wieder unten haben wir uns aufgemacht zum lockenden Bade am kleinen Dorfstrand. Dort angekommen fing es an zu regnen, so daß das erfrischende Bad ausfiel (das Wasser war ja sackkalt wegen irgendeiner blöden Strömung, nur ich war kurz bis zu den Knien drin). Nach dem dreiviertelstündigen Marsch kamen wir patschnaß am Lager an.

Abends wurde dann die Barthelbombe angeschmissen und es gab Klößchen mit irgendwas. Alle wollten freiwillig die Klößchen formen, weil man da hinterher die Hände nicht waschen mußte.

Berth hatte irgendeinen Tag eine gigantische abenteuerliche Route ausgewählt, große Schächte, abdrängende Verschneidungen, z. T. unfestes Gestein, nicht so der glücklichste Griff. Schon die erste SL war Schei... und auch später wurde er stundenlang in der 2. SL gesehen und Börge später stundenlang ein kleines Stückchen unter dem Standplatz. Weiter ist diese Seilschaft trotz Westseil nicht gekommen. Das war geschickt von uns, den Börge ans stumpfe Ende zu binden... Wir trafen uns alle beizeiten bei den "Muscheln" und "Walzen"...

Wir sind dann alle noch weiter westlich am Parus (Segel), einem freistehenden 200-m-Turm oberhalb von Foros geklettert, sowie an einigen kleineren Felsen unterhalb von diesem, in Ufernähe wo angeblich auch einige Qualifikationsrouten vom Worldcup waren (die Damen-Finalroute soll uns laut Sergeji gelungen sein). Überhaupt kletterte Sergeji, der Waldschratt, unglaublich elegant und stark, obwohl er fast immer in seinen Galoschkis kletterte, so ein paar selbstgebastelte Latschen aus Gummi, die ein wenig an abgeschnittene Gummistiefel oder Surfschuhe erinnerten. Er prahlte immer mit einem Black Diamond Karabiner, den er angeblich zum Cup von Jackie Godoff geschenkt bekommen hat (ich werde auch nie seinen Bericht später vergessen, als er in Sachsen zu Besuch war, von seinem 15-m-Sturz in der "Heilen Welt", weil er den Quergang verpasst hatte).

Das beste Kletterziel war jedoch der Krasnoij kamen (Roter Stein), ein großer Felsmonolith in Richtung Jalta, Etwa 100-120 m hoch festester Kalk und im Zuge des Weltcups sportklettermäßig super eingerichtet. Viele Routen (bis X-), viele Bohrhaken, aber ganz schön schwer und abgespeckt. Selbst Berth fiel es schwer, ein scharfes Seilende zum Ausstieg zu bringen und RP ist dort glaube ich keinem was gelungen. Aber auch Einheimische schienen dort ganz wacker zu klettern. Das war an den spiralgeflochtenen 7mm-Toprope-Stricken zu erkennen, die 200m lang irgendwo oben durchgefädelt und zum Sichern mehrmals um die kärglichen Büsche am Boden gewickelt waren. Von uns hat sich jedenfalls keiner getraut, an den Fäden irgendjemanden einzubinden. Zum Abbauen unserer eingehangenen Oststricke wurde ich hochgeschickt und so habe ich dann auch im Überhängenden, unter vertrauenswürdigen Zurufen der Kameraden ("Zieh durch!"), noch ein hübches 30m-Pendel hingekriegt, daß die selbstgestrickten Exen nur so flatterten.

Leider war die Zeit viel zu schnell vorbei und wir wurden auch nicht von der Miliz erwischt, obwohl wir Illegale waren, die keine Gelegenheit ausgelassen hatten, mit einheimischen Mädchen zu flunkern, Bestechungen zu verteilen und illegal erworbenen Krimskoje Sekt zu vertrinken. Die Heimreise ging glaube ich ganz gut. Wir meldeten uns alle einzeln wieder bei den zuständigen Milizstationen ab und wir besuchten natürlich auch noch mal das Buffet im Schwedenhotel.

Inzwischen soll das Gebiet dort besser erschlossen sein, aber bis jetzt haben die Schritte noch kein GM oder M wieder dorthin gelenkt.

Bis zu einem nächsten Bericht. EUER BLACKY.